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ARCHIV: SCHLAF-WANDERN IN WIEN

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veröffentlicht 04/2010 auf punkt.at

Beim letzten Streit mit seiner Mutter zerstörte er ihre Wohnung. Wegen Raub und Körperverletzung saß er im Gefängnis. Zuflucht fand Igor bei a_way, der Notschlafstelle für Jugendliche.


a_way ist eine Einrichtung der Wiener Caritas und gleich hinterm Westbahnhof zu finden. (C) Martina Schenk

Igor* ist 17 Jahre alt und schon zum dritten Mal bei a_way. Hier kommt er her, wenn die Diskussionen mit seiner Mutter zu sehr ausarten, und wenn er auch bei Freunden keinen Platz zum Schlafen findet. „Ich hab daheim alles kaputt gemacht, hab mit meiner Mutter und meiner Oma gestritten. Die sind nicht damit einverstanden, wie ich lebe. Dann hab ich aus der Wohnung raus müssen“, erzählt Igor „punkt“. Er ist ein Einzelkind. Aufgewachsen ist er ohne Vater, seine Mutter hat ihn alleine erzogen. Wenn sie nicht daheim ist, schleicht er sich in die Wohnung hinein. Er duscht, zieht sich um, verschwindet rechtzeitig, bevor sie wieder heimkommt. Geld zum Leben verdient er sich „mit Wetten und Gaming in den Wettcafés im 16. Bezirk, bei der Johnstraße“.

Auf der Suche

In der Notschlafstelle der Caritas können Jugendliche bis zu fünf Tage pro Monat hintereinander übernachten. „In Ausnahmefällen länger, wenn Perspektiven bestehen“, sagt Martina. Sie ist eine der Betreuerinnen bei a_way.
Im Eingangsbereich steht ein Wuzzler. Es ist sauber, aber sehr stickig. Viel Platz gibt es in den Räumen des ehemaligen Bahnhof-Sozialdienstes nicht. Bis zu zehn Jugendliche können hier übernachten. Burschen und Mädchen werden getrennt untergebracht. Für Notfälle stehen zwei Extrabetten zur Verfügung. Oft genug werden diese gebraucht. Wenn der Platz einmal nicht ausreicht, können die Sozialarbeiter bei der Vermittlung von Alternativ-Übernachtungsmöglichkeiten helfen.


Die Notschlafstelle für Jugendliche ist klein; dafür gibt es einen Wuzzler zum Zeitvertreib. (C) Martina Schenk


Insgesamt zehn Schlafplätze gibt es bei a_way. Die Betreuer vergeben die Plätze nach Dringlichkeit. (c) a_way

Nur weg von daheim

Wer einen Platz bekommt, kann hier essen, duschen, Wäsche waschen und erhält im Notfall saubere Kleidung. Die Regeln sind strikt: Kein Alkohol, keine Drogen, keine Waffen. Wer gewalttätig ist, fliegt sofort raus. Erst am Abend dürfen die Jugendlichen in die Einrichtung hinein. Ab 20 Uhr stehen die Türen offen. Spätestens um neun Uhr früh müssen sie wieder draußen sein.
Viele Jugendliche wollen einfach nur weg von den Eltern. „Die meisten kommen, wenn sie daheim Streit gehabt haben“, sagt Martina. „Es gibt Jugendliche, die sind regelmäßig alle zwei bis drei Monate bei uns. Und andere siehst du einmal, und dann nie wieder.“ Der Job ist spannend, aber nicht immer einfach: „Man muss sich abgrenzen können,“ sagt sie, „weil es wirklich teils heftige Schicksale sind.“

„Sie müssen keine Angst haben“

Die Jugendlichen können anonym bleiben. „a_way ist ein niedrigschwelliges Angebot. Es werden so wenig Anforderungen wie möglich an die Kids gestellt, damit sie kein Angst haben müssen, wenn sie zu uns kommen wollen“, erklärt Martina. Die Hilfe ist kostenlos und soll die Kinder von der Straße holen. Einzige Voraussetzungen sind ein Erstaufnahme-Gespräch und ein Alterslimit von 14-18 Jahre. Wer älter ist, wird von P7, der Wiener Erstanlaufstelle für wohnungslose Menschen, über einen Zuweisungsschein an alternative Notunterkünfte vermittelt.

Ausweg

Auch Igor war schon einmal bei einer anderen Einrichtung für Obdachlose. „Ich hab mal im Heim beim Augarten übernachtet. Aber dort haben mich die Betreuer angeschrien, weil ich fünf Minuten zu spät gekommen bin.“ Wenn das Fünf-Tages-Limit bei a_way erschöpft ist, versucht Igor fürs erste wieder bei Freunden unterzukommen. In Notschlafstellen oder auf der Straße möchte er nicht leben. Seine Zukunft stellt er sich anders vor. Igor hofft, dass er bald eine Gemeindewohnung zugeteilt bekommt. Seine erste eigene Wohnung, in die er sich dann nicht hinein schleichen muss.

*Name den Mitarbeitern von a_way bekannt. Das Gespräch mit Igor (Name auf Wunsch von a_way geändert) hat in Anwesenheit der Sozialarbeiterin Martina von a_way stattgefunden, weil Igor noch minderjährig ist.

Infos & Links

a_way
Notschlafstelle für Jugendliche
Felberstraße 1/7
1150 Wien
(ÖBB-Gelände, zw. Parkhaus
und Bahnhofsgebäude)
Tel. 01/897 52 19
Fax: 01/892 08 66
a_way@caritas-wien.at

Öffnungszeiten:
Täglich von 20.00-9.00 Uhr

Erreichbar mit:
U3, U6, 5, 6, 9, 18, 52, 58,
N6, N49, N58, N64, div. ÖBB-Züge

Artikel zuletzt aktualisiert 29.04.2010 00:30